Zum Hauptinhalt springen
Bosch Energy and Building Solutions Deutschland
Energieeffizienz: Interview mit Tobias Federico

„Energie einsparen ist jetzt die Maßnahme schlechthin“

Die rapide gestiegenen Energiepreise treffen Unternehmen hart, doch der Handlungsspielraum ist begrenzt. Wie die Unternehmen die Herausforderung angehen können und weshalb es um individuelle Lösungen geht, erklärt Energiemarkt-Experte Tobias Federico

Portrait Tobias Federico, Geschäftsfuehrer
Gibt es Möglichkeiten, auf den Preisanstieg für Energie richtig zu reagieren?

JA.

Indem das Thema Energie zur Chefsache wird und Energieeffizienz einen neuen Stellenwert erhält.

Tobias Federico ist Gründer und Geschäftsführer von Energy Brainpool und entwickelte eine der ersten Spotpreisprognosen sowie das fundamentale europäische Energiemarktmodell Power2Sim. Er ist Experte für Portfolio- und Risikomanagement, Blockchain in der Energiewirtschaft und Geopolitik.

Herr Federico, die Energiepreise befinden sich auf einem Allzeithoch – und das bekommen Unternehmen genauso zu spüren wie private Verbraucher. Welche Szenarien sehen Sie auf uns zukommen?

Wir arbeiten mit drei Szenarien, die alle von der Entwicklung des Ukraine-Kriegs abhängen und davon, ob sich die Energiesituation verschärft oder lockert. Beim wahrscheinlichsten Szenario, dem Central Case, werden wir kurz- bis mittelfristig ein hohes Preisniveau und eine hohe Volatilität sehen.

 

Wie sieht der zeitliche Horizont aus?

Wir sehen drei Zeitintervalle: die nächsten zwei Jahre, bis Ende der 2020er Jahre und die 2030er Jahre. Die kommenden zwei Jahre werden stark von Unsicherheit geprägt sein. Das Verschärfungsszenario wäre der Wegfall von russischem Erdgas. Das hätte die Folge, dass es in Deutschland oder Europa zur Gasknappheit kommt und die Preise in die Höhe schießen. Diese Unsicherheit besteht so lange, bis wir es geschafft haben, alternative Bezugsquellen für Erdgas zu erschließen.

 

Beispielsweise verflüssigtes Erdgas statt Pipeline-Gas?

Genau. Auf den weltweiten Märkten ist es in ausreichender Menge vorhanden und es gibt auch genügend Transportschiffe. Die Engstelle sind die LNG-Terminals. Nach unseren Berechnungen fehlen uns europaweit fünf Regasifizierungsterminals. Es wird zwei Jahre dauern, bis wir diese haben.

 

Dann entspannen sich die Märkte wieder?

Solange wir diese Unsicherheitssituation haben, haben wir Unsicherheitspreise. Eine spürbare Entspannung werden wir erst sehen, wenn der Weltmarkt mit LNG gesättigt ist. Das erwarten wir in den 2030er Jahren oder etwas früher. Aber auch dann werden die Gaspreise nicht mehr das alte Niveau erreichen, sondern sich an den LNG-Preisen orientieren und die sind in der Regel höher. Beim bisher in Europa dominierenden Pipeline-Gas hatten wir Preise zwischen 15 bis 25 Euro pro Megawattstunde, LNG-Preise werden nicht unter 30 bis 35 Euro gehen.

 

Was erwarten Sie langfristig, in den 2030er Jahren?

Langfristig spielt Wasserstoff, der entweder in Europa aus Strom von erneuerbaren Energiequellen mittels Elektrolyse hergestellt oder importiert wird, eine immer stärkere Rolle. Aber letzteres auch nur, wenn es sich um grünen Wasserstoff handelt.

 

Welche Spielräume haben Endkunden aktuell?

Diese hohen Handelspreise aus den letzten Wochen und Monaten sind häufig aufgrund bestehender Energieverträge noch gar nicht beim Verbraucher angekommen. Das heißt: Industrie und Gewerbe werden dieses hohe Preisniveau erst in den nächsten Monaten und beziehungsweise in 2023 sowie 2024 tatsächlich spüren. Daher geht es jetzt darum, Maßnahmen für mehr Energieeffizienz zu ergreifen und sich Fragen zu stellen, ob, wo und wie Energie eingespart werden kann. Aber auch, ob es Alternativen zu den bislang genutzten Energieträgern gibt, ob es Möglichkeiten zur Diversifikation gibt. Das Thema Energieeffizienz erhält gerade einen starken Schub. Bei einem Großhandelspreis von vier Cent pro Kilowattstunde war es zwar nett, wenn bei der Optimierung von Prozessen auch Energie effizienter genutzt wurde, hatte aber keinen Effekt auf den Geldbeutel. Bei einem reinen Energiepreis von 22 Cent pro Kilowattstunde geht es konkret darum, wie sich der Verbrauch senken lässt, um wirklich Kosten zu sparen. Das spiegelt auch der Erdgasverbrauch wider. In den ersten Monaten seit dem Ausbruch des Krieges ist der Erdgasverbrauch bei Industriekunden um zehn Prozent gesunken. Auch wenn sich die Gründe dafür nicht genau nennen lassen, der Preisdruck dürfte eine Rolle gespielt haben.

Building the positive

Energie ist jetzt ein Thema, das über die Zukunftsfähigkeit mancher Unternehmen entscheiden wird.

 

Welche Schritte sind jetzt im Einzelnen notwendig? Und welche Prioritäten müssen Manager jetzt setzen?

Der wichtigste Schritt ist, dass das Thema Energie zur Chefsache gemacht wird. Denn Energie ist jetzt für alle ein strategisches Thema. Ein Thema, das über die Zukunftsfähigkeit mancher Unternehmen entscheiden wird. Unternehmen, bei denen Energiekosten bereits eine gewichtige Rolle spielten, haben sich schon im Vorfeld Strategien überlegt. Die meisten anderen müssen jetzt eine entwickeln. Dabei ist es wichtig, dass die Fachabteilungen die volle Rückendeckung im Unternehmen haben, sonst werden die geplanten Maßnahmen früher oder später ausgebremst. Deshalb sollte Energie jetzt Chefsache werden und auch bleiben, denn die Prozesse, die gerade angeschoben werden, gehen weiter. Und: Es ist nicht nur eine Frage des Energiepreises. Auch die Frage, mit welcher Energieform der CO2-Fußabdruck gesenkt werden kann, spielt eine entscheidende Rolle.

 

Welche Fragen sollten sich die Unternehmen stellen?

Um gut durch die aktuelle Situation navigieren zu können, sollten sie sich klar darüber sein, wie ihr Geschäftsfeld aussieht, wie der Energiepreis dieses beeinflusst. Es gilt, sich zu fragen, was das größte Risiko wäre, womit man leben kann. Wesentlich ist die Frage, ob der Fortbestand des Unternehmens gefährdet ist und welche Ressourcen zur Verfügung stehen. Das ist die Basis.

 

Wie geht es weiter?

Dann geht es um die Maßnahmen. Die erste aktive Maßnahme ist, Energieeffizienz zu schaffen. Möglicherweise gab es bereits Projekte dazu oder Vorschläge liegen in der Schublade und könnten zum Teil umgesetzt werden. Die nächste Maßnahme ist die Diversifizierung der Energie.

 

Was genau meinen Sie damit?

Nicht alles auf eine Karte setzen, sondern sich breit aufstellen. Es geht um die Diversifizierung der Importquellen und der Energieträger. Möglicherweise möchte das Unternehmen zu einem anderen Energieträger wechseln, um die Gefahr einer potenziellen Gas-Mangellage zu kompensieren. Das ist im Einzelfall zu bewerten, ob dies je nach Produktionsprozess möglich ist. Öl lässt sich leichter substituieren als Erdgas. Alternative Energieträger können in Maßen eine Option sein. Aber grüne Energieträger stellen nur bedingt Prozessdampf her, sondern nur Strom. Wenn wir von Erdgas-Ersatz sprechen, dann meinen wir in der Regel Wasserstoff. Der Wechsel ist nicht ganz einfach und das Ganze macht nur Sinn, wenn es grüner Wasserstoff ist. Dazu brauchen wir ebenfalls den Ausbau der erneuerbaren Energien und noch ist die Technik nicht so weit, dass sie wirtschaftlich ist und wir die hohen Folgekosten in den Griff bekommen. Das wird erst in den nächsten 10 bis 15 Jahren der Fall sein.

 

Wenn Wind und Photovoltaik alleine nicht reichen, was kann man dann tun?

Einsparmaßnahmen sind jetzt die Maßnahmen schlechthin!

 

Hier lassen sich mittels technischer oder digitaler Maßnahmen Prozesse optimieren oder Energiefresser ausfindig machen. Welche Möglichkeiten sehen Sie noch?

Energieeffizienz hat zwei Elemente. Zum einen die Lastenreduktion, indem der Energiebedarf durch intelligentes Verteilen von Lasten reduziert wird. Da gibt es meist Potenziale, die möglicherweise untersucht, aber noch nicht genutzt wurden, weil sich die Investition vielleicht einfach nicht gerechnet hat. Das andere Thema ist die Lastverschiebung. Dabei geht es darum, einen Prozess nicht gerade dann laufen zu lassen, wenn das Strompreisniveau hoch ist, sondern zu einem Zeitpunkt, wenn es niedrig ist. Das macht aber nur Sinn, wenn das Unternehmen von kurzfristig stark schwankenden Strompreisen profitiert oder davon betroffen ist. Es kann auch spannend sein, wenn das Unternehmen selbst Energie produziert oder ein Power Purchase Agreement (PPA) hat. Im Kern geht es darum, zu einem Einklang zwischen Erzeugung und Verbrauch zu kommen.

Das erinnert ans Smart Home.

Wir sehen den Effekt tatsächlich im Haushaltsbereich. Smarte Heizungssteuerungsgeräte gibt es seit Jahren. Mit einem einfachen Instrument auf der Heizung lässt sich der Gesamtwärmebedarf um sieben bis 15 Prozent reduzieren, das sind Einsparungen bei der CO2-Emission und dem Strom- oder Erdgasverbrauch. Solche Maßnahmen gab es, aber man hat sie nicht umgesetzt. Jetzt werden sie umgesetzt und der Effekt ist da. Nur durch eine intelligente Steuerung, die man nicht direkt merkt, wird der Verbrauch gesenkt. Die Technik gibt es.

 

Ein Knackpunkt wird künftig sein, wie die Energie eingekauft wird?

Wir sind jetzt auf einem anderen Preisniveau als bisher und das tut weh. Bei vielen Unternehmen hat das Thema Energie bislang keine große Relevanz für das Geschäftsmodell gehabt. Da kümmert sich eine Person um den Einkauf von Strom und Gas. Mit der Verfünffachung der Preise erhält Energie einen anderen Stellenwert und entsprechend geht es darum, die Manpower für die Beschaffung zu stärken. Denn es geht darum, wie der Gas-, Öl- und Strombezug diversifiziert werden kann, welches Wissen es über die Lieferanten und Vorlieferanten gibt, aber auch, ob das Unternehmen die Möglichkeit hat, die Preise weiterzugeben.

 

Welche Strategien gibt es beim Einkauf von Energie?

Wenn es eine Beschaffungsstrategie gibt, würde ich sie nicht großartig ändern. In einer Marktsituationen, wie wir sie im Moment haben, ist die Budgetsituation relevanter als es Optimierungsmöglichkeiten. Im Hintergrund kann das Unternehmen trotzdem seine Beschaffungsstrategie vorbereitend modifizieren. Im ersten Schritt ist es wichtig, die vertraglichen Details anzusehen - wie lange ist die Laufzeit, wie lange gilt der Festpreis, ab wann besteht Handlungsbedarf… Gerade beim Zeitpunkt, wann gehandelt werden sollte, gibt es oft keine fixierte Strategie. Die kann ganz einfach sein, indem ein bestimmtes Datum für den Einkauf festgelegt ist.

 

Das klingt simpel…

…aber es ist eine klare Regel. Wir haben oft festgestellt, wenn es keine klaren Regeln gibt und nur wenige Mitarbeiter verantwortlich sind, fehlt die Eindeutigkeit. Dann wird beispielsweise abgewartet, weil der Preis zu hoch erscheint und gehofft wird, dass er eventuell sinken könnte. Dann wird zu lange gewartet und der Preis steigt immer weiter. Ich plädiere für klare Regeln, wie man einkauft. Erst dann kommt die Verfeinerung.

 

Spielt die Größe eines Unternehmens bei der Energiebeschaffung eine Rolle?

Die Größe eines Unternehmens bezogen auf den Verbrauch ist nicht unbedingt relevant für die Beschaffungsstrategie. Sie spielt natürlich eine Rolle, weil ein kleineres Unternehmen bestimmte Beschaffungsstrategien nicht durchführen kann. Aber wir sehen große Konzerne, die eine relativ einfache Strategie haben, aber auch kleinere, die sich aus ihrer Sicht vernünftig aufgestellt haben. Was eine gute oder schlechte Beschaffungsstrategie ist, weiß man oft erst im Nachhinein. Aktuell sind die gut aufgestellt, die eine klassische Strategie gefahren sind: Einmal alle drei Jahre den Strom einkaufen, den Preis fixieren und das wars. Das ist in einem steigenden Markt eine super Strategie. Die profitieren im Moment noch davon. Beim nächsten Einkauf ist der Sprung dann aber signifikant. Was ich damit sagen will: Wenn sie diese Strategie fortführen würden, würde das nicht unbedingt bedeuten, dass es danach wieder eine gute Strategie ist.

 

Was ist aktuell sinnvoll?

Beim häppchenweisen Einkauf, dem Tranchenmodell, werden Teilmengen über mehrere Jahre hinweg eingekauft. Das hat da den Vorteil, dass es keine unvorhergesehenen Ausschläge nach oben gibt. Dieser Einkauf ist allerdings komplexer, weil die Märkte beobachtet werden müssen, und die Beschaffung braucht das Vertrauen vom Management. Sinn kann auch der Budgetansatz machen. Wer Ende 2021 zu einem sehr hohen Preisniveau eingekauft hat, hat das so im Budgetplan drin. Eine Art Zielpreisstrategie könnte interessant sein. Das gibt Planungssicherheit, schützt vor Ausschlägen nach oben, verhindert aber auch Chancen, wenn der Preis nach unten geht.

 

Wir müssen uns also an das Energiepreisniveau gewöhnen?

Wir werden uns an ein neues Preisniveau gewöhnen müssen. Aber ich würde nicht sagen, dass das jetzige Preisniveau auf Dauer so bleibt. Selbst wenn wir höhere Preise für CO2-Emissionszertifikate haben werden – durch den starken Ausbau fluktuierender erneuerbarer Energien und der Speichersysteme wie Wasserstoff, kann es sein, dass wir in der Zukunft ein niedrigeres Strompreisniveau sehen werden. Je nach Durchmischung und je nach Szenario.

Building the positive

Jede Kilowattstunde, die eingespart wird, senkt gleichzeitig Kosten und die CO2-Emissionen.

 

Grünstrom spielt eine immer stärkere Rolle. Welche Möglichkeiten gibt es hier für Industrieunternehmen?

Beim Klimaschutz wird die Bevölkerung aufmerksamer. Es reicht nicht mehr “grüne Zertifikate” zu kaufen, man muss als Unternehmen verstärkt darlegen, dass man etwas tut. Das erscheint schwierig, gerade wenn man akut andere Probleme hat. Da spielt Energieeffizienz hinein, denn jede Kilowattstunde, die eingespart wird, spart gleichzeitig CO2. Beim grünen Strom stellt sich die Frage, wie grün ist eigentlich Grün? Grüner Strom hängt verstärkt mit Regionalität zusammen. Ich sehe einen Trend dahin, grünen Strom in Deutschland herzustellen, durch nachweisbare Anlagen, die idealerweise in der Nähe liegen. Eine physische Lieferung aus Deutschland mit dem Zertifikat hat damit eine höhere Qualität. Die Tendenz geht in Richtung PPA, zu Langfriststromverträgen mit Grünstrom-Range. Da gibt es im Moment mehr Nachfrage als Angebot.

 

Welche positiven Schlüsse lassen aus der aktuellen Lage ziehen?

Energieträger und Energieeffizienzmaßnahmen haben einen ganz anderen Stellenwert, was mit Blick auf die Energiewende sinnvoll ist. Ein niedriger Energiepreis wurde für selbstverständlich genommen, war er aber nicht. Durch kritische Analysen können wir uns anders aufstellen, das ist durchaus eine Chance.

Über Energy Brainpool

Wir sind die unabhängigen Energiemarkt-Experten mit Fokus auf den Strom- und Energiehandel in Europa. Unsere Expertise umfasst die Analyse, Prognose und Modellierung der Energiemärkte und -preise, wissenschaftliche praxisnahe Studien, individuelle Beratungsangebote sowie Experten-Schulungen für die Energiebranche.

Gemeinsam Verantwortung übernehmen auf dem Weg zu einer nachhaltigen Zukunft

Mit unserer eigenen Tochtergesellschaft Bosch Climate Solutions sind wir Ihr Partner auf dem Weg zum klimaneutralen Unternehmen. Gemeinsam mit Ihnen erstellen wir unter anderem Ihre individuelle Klimastrategie und unterstützen Sie bei der Umsetzung.

Gemeinsam für Green Buildings

Erfahren Sie, was wir für mehr Nachhaltigkeit in Gebäuden, für Klimaneutralität und ein höheres Umweltbewusstsein leisten.

Building the positive